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Wächter der Ordnung im freien Spiel der Kräfte

Süddeutsche Zeitung (München/Süd, 9.01.2008)


Von Laura Weißmüller

 

Unterhaching: Ist man früher vor dem Fernseher eingeschlafen, empfingen einen spätnachts die Testbilder: Farbige und schwarz-weiße Felder in einer gerasterten grauen Grundfläche. Sie zu sehen, bedeutete, die bewegten Motive verschlafen zu haben. Seitdem alle Programme 24 Stunden durchsenden, gibt es die rechteckigen Ornamente auf dem Bildschirm kaum noch. Zumindest das Fernsehen kennt  keinen Schlaf.

Dafür erinnert das Gemälde "Yin und Yang" von Karin Roth mit seiner geometrischen Bildsprache, dem exakten Aufbau und den wie mit dem Lineal gezogenen Linien an die verschwundenen Fernsehrelikte. Aber die Arbeit wirkt nur auf den ersten Blick unbewegt und starr, denn nach ein paar Momenten tauchen die einzelnen Pinselstriche auf. Ebenso bekommen die Farbflächen etwas Lebendiges: Wie in einer Umarmung umschlingen sie den Betrachter und erinnern dabei  an den Farbauftrag von Mark Rothko, dessen Rot und Blau den Beobachter wie weiche Kissen umfangen kann.

Die 1950 in Hardheim geborene Künstlerin beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit der Malerei. Dabei ging sie den klassischen Weg vom Gegenständlichen zur Abstraktion. Die Resultate zeigt jetzt das Unterhachinger Kubiz-Kulturforum. Die geometrische Reduktion ermöglicht der Münchner Malerin das, was den Betrachter streckenweise verwirrt - ein Spiel mit dem Raum. Etwa in dem großformatigen, grau roten Gemälde: Linien ragen hier in Flächen, alles ist miteinander verschränkt und ein Auseinanderdividieren der einzelnen Felder erscheint unmöglich. Je länger das Auge auf dem Bild weilt, desto tiefer wirkt es. Es ergibt sich  ein dreidimensionaler Raum, in dem Farbfelder gestapelt sind, sich überdecken und wieder dahinter hervorscheinen. Das vormals so leblos Geometrische bekommt etwas Vitales, indem es in der Betrachtung nach vorne und hinten springt.

Was ist Raum und wo fängt er an? Diese Frage hat die Künstlerin in dem Bild "Sehstörung" nicht nur im Titel gebannt: In dem kleinformatigen Gemälde kippen die Kuben ständig in ihrer Ausrichtung hin und her, mal ragen sie tief in den Bildraum hinein, dann wieder kommen sie dem Betrachter entgegen. Die geometrischen Formen täuschen somit nur auf den ersten Blick über die Bewegung im Bild hinweg

Manche Arbeiten verraten Roths gegenständliche Herkunft: In "Verbrannte Erde" taucht ein gestischer Farbauftrag auf, der sich in den kleinen Formaten bis zur Methode des Action Paintings von Jackson Pollock annähert. Wie Wächter der Ordnung wirken hier die Rechtecke- sie zähmen die expressive Malerei in geometrischen Feldern. So thematisiert die Kunst von Karin Roth neben dem Spiel mit dem Raum, auch den Kampf zweier Pole - die rechtwinkligen Flächen gegen den Ausbruch der Formen. Für den Betrachter gleicht das manchmal einem Spaziergang durch die Kunstgeschichte: vom Konstruktivisten Mondrian zu den abstrakten Expressionisten Pollock und Rothko. Welche Abzweigung Karin Roth dabei endgültig wählt, ist noch nicht entschieden.

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